Die Geschichte zwischen Hund und Briefträger ist eine Geschichte von Haß und Liebe, Freundschaft und Feindschaft, Blut und Nachporto. So recht ein gewaltiges Drama nach Shakespeares Geschmack nur, dass der englische Dichter wieder mal nicht wollte, weil er gerade an den letzten Arbeiten zu Romeo & Julia saß, in deren zwischenmenschlichen Beziehungen dann auch viel vom Briefträgerdrama einfloss.
Einige Wissenschaftler behaupten frechweg, dem Hund sei eigentlich egal, ob es sich beim Objekt seiner Begierde um einen Briefträger handele, er belle nur mal so, weil er eben muss. Schließlich ist er ein Rudeltier, das Haus und Hof für sein Revier hält (er ahnt ja nichts von Hypotheken-Belastungen) und beschützen will. Da kommt nun jeden Tag ein Fremder, dringt durch die unsichtbaren, aber sehr wohl zu riechenden Grenzmarkierungen und benutzt das Eigentum (den Briefkasten) des Rudels. Da müsse man ja bellen – meinen die Wissenschaftler – und wenn es der Mensch nicht tut, dann springe eben der Hund ein. Merke: Shakespeare hatte an der Postzustellung nur peripheres Interesse, weil er Romeo und Julia unter Zeitdruck fertigstellen musste.
Die Post hat aus dieser Theorie schon die ersten Konsequenzen gezogen. In einer internen Dienstanweisung (DA165-A, 4/08-15 der Oberpostdirektion) wurde den Briefträgern jedwede provokative Grenzverletzung untersagt. Im Zweifelsfall sei niederzuknien und vermittels der Nase zu überprüfen wo die Grenzen des Adressaten-Rudels verlaufen. Weiterhin wurde die grob fahrlässige Veränderung dieser Markierung unter Strafe gestellt.
Dabei wäre dieser harte Erlaß gar nicht notwendig geworden, denn bei oben beschriebener wissenschaftlicher Theorie handelt es sich um ein vorschnell ausgegebenes Gutachten, das an einem verregneten Sonntagnachmittag entstand und dementsprechend schwermütig verfasst wurde. Die Gegenbeweise sind schnell angetreten. Erstens kommt der Briefträger jeden Tag, ist also spätestens nach einer Woche auch für den Hund kein Fremder mehr. Es dürfte dann kein Anlass zum Bellen bestehen. Zweitens ist das Rudel- und Revierverhalten ein Atavismus aus der Urzeit, und da gab es noch keine Briefträger. Als der Hund gerade lernte, das Eigentum seines Rudels zu schützen, befand sich der Briefkasten noch nicht im Inventar einer durchschnittlichen Höhlenmensch- Familie. Der Briefkasten konnte ja noch gar nicht erfunden sein, da die wichtigsten Voraussetzungen, die Richtlinien der DIN (Deutsch Industrienorm – die kümmern sich tatsächlich auch um den Deutschen Briefkasten), noch nicht ausgegeben waren.
Drittens - und das ist das allerwichtigste – ist ein Hund zu wesentlich differenzierten Gefühlsäußerungen fähig, als es mancher wahrhaben will. Und in die Gruppe der Diffizilen gehören nun auch einmal die Vertreter der öffentlichen Behörden, wie sonst keine anderen.
Merke: Briefträger sind empfindliche Gemüter, wenn sie gebissen werden oder wenn ihnen das zustehende Nachporto verweigert wird.
Es handelt sich in der Beziehung Hund/ Polster um ein Liebesverhältnis seitens des Hundes, welches vom Briefträger jedoch nur selten erwidert wird. Wie jedes Drama dieser Art schläft die unerwiderte Liebe deshalb gelegentlich in Hass um, nur damit sich der Hund kurz darauf wieder vor Sehnsucht nach dem Briefträger verzehrt.
Hunde sind ja an sich recht einsam. Ihr Rudelchef geht den lieben langen Tag zur Arbeit, muss sich also nicht langweilen, und die anderen, daheimgebliebenen Familienmitglieder sin mi dem schmutzigen Abwasch oder mit dem sauberen Ego (sich selbst) beschäftigt. In diese trostlose Einsamkeit fällt nun jeden Tag der Briefträger, ein Mann von Welt, in vielerlei Hinsicht. Seine schmucke Uniform beweist, dass er es in seinem Beruf zu etwas gebracht hat und sich nach oben boxen konnte. Die Absender der Briefe, mehr noch aber der Geruch an der Hose und die Löcher in den Schuhsohlen, zeugen davon, dass er sowohl die ganze Gegend als auch Hinz und Kunz kennt. Kurz gesagt, der Postzusteller, erst recht wenn er unkündbar ist, ist eine imposante Erscheinung für den Hund. Gar mancher Fiffi, Rez oder Waldo träumt davon , mit dem Uniformträger ein gemeinsames Rudel zu bilden und ein wenig durch die Gegend zu rödeln. Nur der Briefträger merkt in seiner schnöseligen Unachtsamkeit nichts von diesen verborgenen Träumen und wird deshalb angeknurrt. Für ihn sind nun einmal alle Adressanten gleicht – so steht es geschrieben in der Postverordnung – und er schert sich einen gefühlsmäßigen Dreck um die schmachtenden Liebesbisse junger Hunde. Die Folge ist, dass der bekümmerte Vierbeiner durch heftiges Bellen auf sich aufmerksam macht und gelegentlich sogar wütend wird, weil ihn niemand beachtet. Auf die Dauer ein unerträglicher Seelenzustand für Ihren Kameraden, so dass sie an Abhilfe danken müssen.
Vergessen Sie zuerst einmal Ihre Eifersucht. Diese ist ohnehin unbegründet, und die zahlreichen Briefträger in den ebenso zahlreichen Schlafzimmerschränken einsamer Hunde (oder deren Frauchen) entspringen nur der Phantasie der Witz-Zeichner.
Und wenn Sie doch einmal einen Postbeamten zwischen der Unterwäsche entdecken, dann handelt es sich dabei meist um eine Urlaubshilfe und darf als Ausnahme angesehen werden. Geben Sie doch einfach mal Ihrem Hund Gelegenheit, den Briefträger näher kennenzulernen, lassen Sie ihn von der Leine (nicht den Briefträger –den Hund). Sie werden sehen, der Postler flüchtet vor den heftigen Liebesbezeugungen Ihres Hundes und hat Angst vor den zärtlichen Beißereien. Von wegen: Mann von Welt – haha. Ihr Hund ist von diesem Verhalten zwar herb enttäuscht, findet dadurch jedoch wieder mit allen vier Beinen auf den Boden der Realität zurück. Ab diesem Zeitpunkt wird er den Briefträger nur noch anknurren, weil er das Revier und den dazugehörigen rudeleigenen Briefkasten schützen will. Im Grunde genommen reicht dies ja auch schon.
Das haben Sie gelernt:
1.) Revierbildungen und Briefkasten stehen nicht in unmittelbarem Zusammenhang, auch wenn diese die Wissenschaftler von der Sorte der Kynologen immer wieder behaupten wollen.
2.) Wer einen Briefkasten besitzt, der nicht den Vorschriften entspricht, muss damit rechnen, von einem Briefträger bedient zu werden, der nicht den Postverordnungen entspricht. Womöglich ist es ein kommunistischer.
3.) Findet sich ein Briefträger im Schlafzimmerschrank, dann hat ihn entweder ein Witz-Zeichner, der Hund oder die Ehefrau hineingesteckt.
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